03.05.2022
Um als Maschinen- und Anlagenbauer im globalen Wettbewerb weiterhin erfolgreich zu sein, bedarf es zunehmend individualisierter und an die spezifischen Anforderungen der Kunden angepasster Lösungen. Dies erfordert eine digitale Durchgängigkeit von Daten und die Beherrschung der stetig steigenden Komplexität durch Aufbau von Methodenkompetenz und Nutzung digitaler Technologien.
Das ständig steigende Angebot an neuen Technologien für Aktorik, Sensorik, Automatisierungstechnik, Informations- und Kommunikationstechnik, Softwaresysteme und dergleichen führt dazu, dass Maschinen und Anlagen zunehmend komplexer werden. Immer mehr hochspezialisiertes, technologisches Wissen aus verschiedenen Disziplinen (Maschinenbau, Elektrotechnik/ Elektronik, IKT, Software Engineering usw.) muss in Produkten (Maschinen, Anlagen, Systemen) integriert werden, um mit ihnen auf globalisierten Märkten Erfolg haben zu können.
Komplexe Herausforderung
Die große Herausforderung liegt dabei in der Entwicklung von Konzepten, mit denen die hohe Interdisziplinarität und Komplexität der Produkte und Engineeringprozesse besser beherrschbar werden. Maschinen und Anlagen können nicht mehr nur aus Sicht der einzelnen Fachdisziplinen betrachtet werden, sondern müssen als Gesamtsystem verstanden werden, da etablierte fachdisziplinspezifische Entwicklungsmethoden den Herausforderungen der interdisziplinären Produktentwicklung auch im mittelständischen Maschinenbau nicht mehr gerecht werden. Die VDI 2206 „Entwicklungsmethodik für mechatronische Systeme“ liefert zwar einen Ansatz aus der Mechatronik – der integrierte Systementwurf soll frühzeitig ein einheitliches Systemverständnis im Sinne einer disziplinenübergreifenden Systembeschreibung schaffen – es besteht aber eine Kluft zwischen der rasant ansteigenden Produktkomplexität fortgeschrittener mechatronischer Systeme und ihrer Beherrschung – diese Anforderung wird auch zukünftig weiter ansteigen.
Viele neue Möglichkeiten
Unternehmen sind somit gefordert, die interdisziplinäre Zusammenarbeit bestmöglich zu gestalten. Die Nutzung neuer (digitaler) Technologien ermöglicht dabei erhebliche Verbesserungen und Erweiterungen des Leistungsangebots in Maschinen und Anlagen, stellt andererseits aber auch erhöhte Anforderungen an die Integrationskompetenz und Organisationsfähigkeit der an den Engineering- und Geschäftsprozessen beteiligten Akteure. So wird beispielsweise durch die Tatsache, dass der Leistungsaustausch zunehmend über branchenspezifische Plattformen (Internetplattformen, Clouds) erfolgt, der Druck auf viele Unternehmen in Richtung Digitalisierung ihrer Produkte, Leistungen, Engineering- und Geschäftsprozesse nochmals verstärkt.
Durchgängigkeit von Daten
Die Digitale Transformation erfordert auch, dass digitale Repräsentationen von Engineering- und Businessprozessen und deren Artefakten geschaffen werden, um sie den Bedarfsträgern (Personen, Gruppen, Organisationen) entlang der verschiedenen Phasen des Produktlebenszyklus in der für den jeweiligen Anwendungsfall (Use Case) benötigten Form zur Verfügung stellen zu können. Diese Forderung impliziert eine hohe Durchgängigkeit von Daten entlang des gesamten Produktlebenszyklus, also von ersten Produktideen über Produktplanung, Anforderungen, Funktionen, Layouts, Entwürfe, Spezifikationen, Fertigung, Auslieferung, Montage, Betrieb, Wartung, bis hin zum Upcycling und Recycling.
Problem der Datensilos
Eines der größten technischen Hindernisse besteht dabei darin, dass viele dieser Daten isoliert, d.h. in Dateninseln (Datensilos), vielfach in unterschiedlichen Erzeugersystemen (CAx-Systemen) und Formaten vorliegen und nicht ohne weiteres miteinander verknüpft werden können, obwohl dies für viele Aufgaben im Engineering notwendig oder zumindest nützlich wäre. Ansätze müssen aber für den hohen kundenspezifischen (Engineer-To-Order) Anteil im Maschinen- und Anlagenbau einerseits vereinfacht und auch hinsichtlich späterer Phasen im Produktlebenszyklus erweitert werden. Somit können Redundanzen im Sinne einer „Single Source of Truth“ vermieden werden.
Daten verknüpfen
Bezüglich Verbesserung der Durchgängigkeit von Daten ergeben sich zwei wesentliche technologische Herausforderungen:
1. Aus Engineering-Sicht stellt sich zunächst die Frage, welche Daten für welche Aufgabenstellungen (Use Cases, tasks) und Zwecke der Engineering- und Geschäftsprozesse benötigt und miteinander verknüpft werden sollen. Dies ist gleichzeitig eine Frage nach den Datenstrukturen und Datenflüssen, die zur Erfüllung einer Aufgabenstellung im Rahmen von Engineering- oder Geschäftsprozessen erforderlich sind.
2. Aus IKT-Sicht stellt sich die Frage, wie die benötigten Daten und Datenflüsse auf Basis vorhandener Systemlandschaften gebildet, extrahiert, abgeleitet, verknüpft und gebündelt werden müssen, um sie jenen Personen und Gruppen in der gewünschten Form und zum „richtigen“ Zeitpunkt zur Verfügung stellen zu können, die sie zur Erfüllung der jeweiligen Aufgabenstellungen benötigen.
Lösung durch Digital Threads
Zur Bewältigung dieser Herausforderungen kann das Konzept des Digital Threads verwendet (im Deutschen manchmal auch als digitaler Faden oder digitaler Strang bezeichnet) werden. Darunter ist die informations- und kommunikationstechnische Verbindung aller digitalen Repräsentationen (Produktmodelle, Partialmodelle, Digitale Zwillinge) einer Produktinstanz entlang des gesamten Produktlebenszyklus zu verstehen. Zielsetzung des Digital Threads ist unter anderen die jederzeitige Nachverfolgbarkeit (traceability) der Entstehung und Nutzung eines Produkts. Der Digital Thread soll damit die (beliebige) Verknüpfung von Daten (insbesondere von Modellen, Parametern, Digitalen Zwillingen, Messdaten) entlang des gesamten Produktlebenszyklus ermöglichen. Die Realisierung eines tatsächlich allumfassenden Digital Threads bedeutet aus IKT-Sicht eine enorme Herausforderung und kann nur in bewältigbaren Teilschritten erfolgen.
Möglichkeiten noch kaum genutzt
Ansätze im Sinne eines Digital Threads sind im Maschinen- und Anlagenbau sowohl in internen und externen Unternehmensprozessen als auch in den Produkten, Maschinen und Anlagen noch kaum etabliert. Vielfältige Möglichkeiten der Prozessoptimierung, Vernetzung, Effizienzsteigerung oder auch der Implementierung neuer digitaler Technologien werden noch zu wenig genutzt. Die Verbindung von realer und digitaler Welt wie auch von menschlicher und Künstlicher Intelligenz ist nur bedingt gelöst. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von einem fehlenden, durchgängig standardisierten Anforderungsmanagement, unklaren Begrifflichkeiten und einer undurchsichtigen Normenvielfalt, einer fehlenden Daten- und Prozessdurchgängigkeit über fehlende Einführungs-, Entwicklungs-, Modellbildungs- und Simulationskompetenz bis hin zu mangelndem Bewusstsein bei Mitarbeiter:innen. Dies ist aber Grundvoraussetzung für die Digitale Transformation und dafür, den technologischen Vorsprung im globalen Wettbewerb zu halten!
Forschungsprojekt
Zur besseren Bewältigung der angeführten Herausforderungen hat der Mechatronik-Cluster im Rahmen des Calls „Digitale Transformation“ ein Forschungsprojekt initiiert, an dem sich acht Firmen- und sechs Forschungspartner beteiligen, die dazu bereit sind, ihre unterschiedlichen Expertisen einzubringen, um damit die Wettbewerbsfähigkeit des österreichischen Maschinen- und Anlagenbaus für die Zukunft abzusichern.
Dieser Beitrag entstand unter Mitwirkung von o.Univ.Prof. DI Dr. Klaus Zeman (JKU) und Mag. Elmar Paireder (MC) und basiert auf Überlegungen im Rahmen der Projekteinreichung.
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